Der 8. Mai 1945
Für mich ist die Erinnerung an den 2. Weltkrieg vor allem mit ständigen Umzügen, neuen Schulen und immer neuer Suche nach Freunden verbunden. Eigentliche Kriegshandlungen oder schlimme Fliegerangriffe habe ich glücklicherweise nicht erleben müssen. Ich denke, unsere Familie hatte in den Jahren 1939-45 in gewisser Weise ein Sonderschicksal. Mein Vater hatte in Guatemala ein gut gehendes Kaffee-Exportgeschäft betrieben. Bei Ausbruch des Krieges waren wir - meine Eltern, meine jüngere Schwester, sowie mein einige Monate alter Bruder - gerade zu Besuch in Deutschland. Dieser Besuch war für ein halbes Jahr vorgesehen und sollte im September enden. Der Kriegsbeginn verhinderte die Rückreise.
Für uns begannen Jahre des Umherziehens, immer von der Hoffnung begleitet, dass alles bald vorüber sein würde. Wir hatten nie eine dauerhafte Wohnung. Alles war immer ein Provisorium. Mein Vater war rasch eingezogen worden. Da im Westen - wir wohnten damals in der Nähe von Köln in der Nähe meiner Großeltern - bald heftige Fliegerangriffe auch im Winter einsetzten, zogen wir 1942 nach Schlesien. Dort gab es keine Fliegerangriffe.
Zu unserer Bleibe in dem kleinen Städtchen Polkwitz (damals als Heerwegen eingedeutscht) möchte ich nun etwas weiter ausholen. Mein Großvater hatte dort als Landarzt praktiziert. Er starb 1905 innerhalb weniger Tage, wohl an einer Sepsis, als mein Vater - 4 Jahre alt war. Meine Großmutter zog mit ihren drei kleinen Kindern in ihre Heimatstadt nach Potsdam. Die Verbindungen nach Polkwitz brachen aber anscheinend niemals ganz ab. Wir bekamen auf Vermittlung eines Bruders meines Vaters in Polkwitz eine Wohnung, die nicht mehr bewohnt war.
Das Haus war alt und bescheiden, wenn auch direkt am Marktplatz gelegen. Es gab, wie im ganzen Städtchen, kein fließendes Wasser, das Brauchwasser mußte in den Rinnstein geleert werden. Wir hatten ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, eine kleine Kammer und eine Küche im ersten Stock. Der Laden im Erdgeschoß wurde von dem Apotheker der Stadt als Lagerraum genutzt. Über dem Schaufenster stand groß an der Hauswand "Engel. Kolonialwarenladen".