III. Reisebeschreibungen der bürgerlichen Reisenden aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
Um 5 Uhr kamen die Reisenen in Parchwitz an und ?logierten in 2 Kronen?. Die Stadt machte zwar einen guten Eindruck auf Krieger, sie ist ?regulair rein und hübsch gebaut?. Die Wirtin und der Wirt wurden jedoch mit einem kritischen Blick gemustert: ?Wohl zu bemerken, er sahe wie ein elender Bedienter aus?. Besonders eindringlich beurteilten die Reisenden die Uhren und die Glocken, was auch bei den Glockengießern verständlich ist: ?Die Uhrschalen auf dem Rathsturme sind so elende, daß ein Topf beßer klingen würde, sie haben gar keine Tönung (...).? Die drei Meilen nach Lüben haben die beiden am nächten Tag bis 10 Uhr bewältigt, obwohl ?in diesen 3 Meilen (...) mehr Sand und Wald (ist), als in den vorhergehenden 7 Meilen?. Lüben war für sie ?größer als Parchwitz, da jenes würde man sicher auf unseren (also den Breslauer - W.K.) Ring setzen können.? Vater und Sohn waren im Schwarzen Adler abgetreten. Als die erste Eigentümlichkeit der Stadt wurde ?das gute Zweyback? genannt, ?was man hier bäckt?.
Die Weiterreise nach Glogau ging über Polkwitz, wo es zu einer familiären Begegnung kam: ?Sobald ich vom Wagen abstieg schwenkte ich den Hut und siehe alsbald öfnete sich ein Fenster über dem Markte derüber ein Kopf mit einem Huth kam heraus und letzterer tanzte in Figuren, ich erkannte daran den Schwager Ulbrich. Ging ihm entgegen?. Die Reisenden aßen im Wirtshause mit dem Schwager Ulbrich, der nich ohne ein gewisses Bedauern Breslau vor Jahren verlassen hatte, einen ?herrlichen Schöpser Braten und thaten uns bene?. Krieger bemerkte auch, daß der Ruf, den Polkwitz als Narrenstadt hat, völlig ?unbegründet? ist, trotzdem zitierte er einen Witz: ?Besonders um Polkwitz ist (...) alles so voll Steine, daß die Einwohner steinreich sind?.
Schon in diesen kurz referierten Passagen der Reise sieht man deutlich das Bewußtsein eines Handwerkers, der kritisch die Lage, die Reinlichkeit und die Ordnung der befahrenen Städte beurteilt. Er nimmt die schlesische Wirklichkeit durch das Prisma seiner Breslauer Hauptstadt wahr, wobei er zugleich die Eigentümlichkeiten der Orte durchaus anerkennend einzuschätzen weiß. Hinter Polkwitz erlebte der Reisende neue überraschende Eindrücke, nämlich die schlesische Landschaft, die auf ihn mit ziemlicher Stärke einwirkte. Bei der Lektüre dieses Abschnittes darf man nicht vergessen, daß Krieger bereits 1787 etwa die süddeutschen Landschaften kennenlernen konnte.
Da wir ungefehr 1 12 Meile gefahren waren zeigte sich Glogau im Thale und die angenehmste Gegend, Fraustadt sahe man in Pohlen, und so alle übrige kleine Städtchen (...) und Dörfer, eine weite Ferne die mit Hügeln oder Wäldern von weitem begränzt waren. Diese eine der schönsten Aussichten in ganz Schlesien. Vorher wo man her kommt ist Wald und Sand, und kaum 100 Schritt zu sehen, und stellt sich auf einmal fruchtbare Gegend, schöne Aussicht, und alles was dazu gehört einem vor die Augen und wird zu sehr auf einmal unvermuthet überrascht. Der Weg geht dann steil am Berge herunter ins Thal, und in diesem ist guter Weg bis in die Stadt. Um 6 Uhr trafen wir ein, traten im Adler ab, gingen gleich aus uns die Stadt zu besehen.
Glogau hat ?die Größe von Liegnitz nur nicht völlig so regulair, nicht so lang, aber etwas breiter. Der Ring liegt an einer Seite der Stadt so wie in allen schlesischen Städten, auch krumme Gaßen und Gäschen gibt es hier, und alle sind schmal. Es sind mehr Einwohner hier als in Liegnitz (...)?. Auch ?die Juden haben hier eine ordentliche Niederlage, da wo man geht und steht für Juden. Die Jesuiter haben hier eine schöne Kirche.? Die beiden Handwerker können bei der Besichtigung dieser Stadt auch eigene Arbeit beurteilen, der Vater von Krieger hatte nämlich ?vor 16 Jahren? ?ein Geläute? für den Turm der Glogauer Pfarrkirche gemacht. Die Türme der evangelischen Kirche waren dagegen noch nicht ganz fertig gebaut, auch die Qualität der Glocken wurde von Krieger sehr kritisch eingeschätzt: ?sie sind ganz erbärmlich, dem Klange nach?. Das Innere der Kirche konnte auch besichtigt werden, der Reisende fand vor allem die Orgel sehr ?hübsch?, ?von Engler gebaut in Breßlau?. Die Einschätzung des Schnitzwerkes ist durch einen Vergleich besonders bösartig ausgefallen:
Auf beyden Seiten des Altars stehen Schnitzwerk und Figuren, die aber auch so elend sind, als man sich nur denken kan, selbst die Figuren in Herrenhausen bey Hannover sind kaum schlechter, sind von einem Bildhauer Schöpfer in Glogau.
Der Tag in Glogau endete mit dem Versuch, die Domkirche zu besichtigen:
Dann gingen wir den Dohm zu sehen, er liegt hinter über der Oder, die hier vorbey und so wie bey Breßlau fließt, aber nicht so groß ist. Die Dohm Kirche hat neuen Thurm, sie war verschloßen, wir konnten sie also nicht sehen. Der Dohm macht eine eigne Citadelle aus. Die Oder war sehr klein, und ist sehr schmal, kaum so breit als die halbe Oderbrücke bey Breßlau. Es wurde finster und nöthigte uns zu Hause zu eilen. Wir aßen zu Abend, legten uns schlafen und bestellten uns die extra Post um 6 Uhr. Wir waren bis hierher die 14 Meilen mit unseren eigenen Pferden gefahren, jetzt aber wurden sie zurückgeschickt.
Man darf kaum annehmen, daß die Reisebeschreibungen Kriegers zum Druck vorgesehen waren. Als Aufzeichnungen galten sie als Zeugnis einer Weltwahrnehmung, die das Selbstbewußtsein eines noblen Handwerkers offenbarten. Sie zeugen auch dafür, wie die persönliche Geschichte in die der eigenen Familie einfließt. Die Familiärüberlieferung ist ihrerseits mit dem Bewußtsein der Landeszugehörigkeit verbunden und widerspiegelt den profilierten Patriotismus des Reisenden. Dieser Patriotismus trägt seinerseits keineswegs die kleinkarierten Züge einer verklärenden Heimattümelei, sondern ist in die Geschichte Preußens eingebettet.